NATO-Krieg mit Folgen: Millionen Libyen-Flüchtlinge wollen nach Europa
April 2015
Eva Herman
Erschütternde Schlagzeilen scheuchen uns aus dem Dämmerschlaf: Schiffsunglücke im Mittelmeer: Eine Million Flüchtlinge warten in Libyen, schreibt das Handelsblatt am Montag. Dann wird über tausende tote Schiffsflüchtlinge aus Libyen berichtet, an nur einem Wochenende. Es geht wieder los: Die Temperaturen steigen, mit ihnen steigt die Zahl jener Menschen, die es in ihren zerstörten arabischen, afrikanischen Ländern nicht mehr aushalten. Unterdessen häufen sich hier Meldungen über tiefe Zerwürfnisse zwischen unseren Bürgern und den Flüchtlingen, die hier ankommen.
Um es harmlos auszudrücken: Die Kulturunterschiede scheinen vielerorts unüberwindbar. Kommunen, Städte, Gemeinden, sie alle keuchen unter den wachsenden Zahlen der Migranten, die täglich ankommen, es werden immer mehr. Unsere Politiker sprechen von einer Selbstverständlichkeit, dass ihnen geholfen werde. Niemand wird widersprechen, es ist Pflicht der Nächstenliebe, anderen in der Not zu helfen.
Doch ist dies wirklich Hilfe? Oder wie müsste diese aussehen? Warum so viele Flüchtlinge? Wegen terroristischer islamistischer Terrormilizen, lautet es im Mainstreammedialen Fachjargon. Ach, ja? Bis zu zwei Millionen Flüchtlinge warten derzeit alleine in Libyen, dazu kommen Millionen Syrer, Millionen Iraker, Millionen Afrikaner, Millionen Asiaten, Südosteuropäer und so weiter. Wo wollen sie alle hin? Was wird aus Europa, was aus Deutschland? Was wird aus unseren Kindern, wie wird die Zukunft aussehen? Bange wird es den Menschen nun, unheimlich schwingt sich etwas über sie, was viele noch gar nicht fassen können.
Doch all das, was heute geschieht, war vorhersehbar. Und, viel schlimmer: Wir selbst haben es herbeigeführt, vorsätzlich oder nachlässig, bewusst oder durch stumme Duldung. Wir haben von nichts gewusst? Wie bitte? Eine kleine Nachhilfe, bleiben wir in Libyen.
Gerade vier Jahre ist es her, als eines der brutalsten Kapitel der Weltgeschichte aufgeschlagen wurde: Fast über Nacht änderte sich das Schicksal des mit am höchsten entwickelten, afrikanischen Staates. Von Deutschland unterstützte NATO-Truppen griffen das Land mit Bomben an, innerhalb weniger Monate starben im Angesicht der Weltöffentlichkeit hunderttausende Menschen, weitere hunderttausende wurden verletzt und verstümmelt, nahezu die gesamte Infrastruktur des Landes ist heute zerstört. Die Libyer stehen vor ihrem einst blühenden Land, es ist nur ein Schutthaufen übrig geblieben.
Jene Medien, die sich den westlichen Bündnissen treu verpflichtet fühlen – es dürften inzwischen nahezu alle sein – berichteten damals im wunschgemäßen Tenor Washingtons. Kaum jemand nannte die wahren Hintergründe. Stumm fraßen es die Zuschauer, die Zeitungsleser. Wird schon alles stimmen, was die sagen. Die Begründung der westlichen Alliierten lautete, sie wollten einen angeblichen Bürgerkrieg stoppen.
Doch hatte es diesen Bürgerkrieg tatsächlich gegeben? Nein! Wer ernsthaft sucht, muss als erstes die Frage stellen, wieso Staatschef Gaddafi, der jahrelang mit vielen westlichen Regierungsentscheidern Seite an Seite in der Ölgewinnung und in anderen großen Wirtschaftsprojekten tätig war, über Nacht plötzlich zur unerwünschten Person werden konnte? Der Mann, der bei den westlichen Regierungen zuvor ein- und ausging, und diese bei ihm, wurde schließlich mit einem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gejagt, seine Söhne und der Rest der Familie ebenso. Schließlich wurde Gaddafi gefangen genommen und öffentlich gelyncht. Zahlreiche seiner Familienangehörigen starben ebenfalls. Das Presse-Echo war, rein menschlich gesehen, auf der ganzen Linie verheerend. Man hatte einen unliebsamen Diktator zur Strecke gebracht, das war ein Grund zum Feiern. In einem Interview jubelte US-Außenministerin Clinton wörtlich: » Wir kamen, sahen und er starb!» Dann folgte fröhliches Gelächter.
Oberst Gaddafi war in seinen letzten Jahren unbequem für den Westen geworden. Er hatte das ölreichste Land Afrikas in über vierzig Jahren zu einem gut funktionierenden System aufgebaut: Die Wirtschaft blühte, ein Wasserprojekt sollte ganz Afrikas Erde fruchtbar machen, das Bruttosozialprodukt wies eine zweistellige prozentuale Steigerung auf, die Analphabeten-Quote drastisch gesunken. Immer häufiger traf der unabhängige Regierungschef Entscheidungen, die vor allem Europa wenig gefielen.
Einer der wichtigsten Geschäftspartner Libyens war Frankreich gewesen. Schon die Vorgänger von Präsident Sarkozy wickelten hier jahrelang ihre Milliardengeschäfte ab. Auch 2010 hatte Sarkozy um weitere Förderkonzessionen in Libyen gekämpft, doch Gaddafi vergab diese überraschend an den italienischen ENI-Konzern. Eine Wende im bis dahin weitgehend stabilen Verhältnis zwischen Libyen und Frankreich. Denn Gaddafi und Italiens Ministerpräsident Berlusconi waren zu jener Zeit noch eng befreundet gewesen. An dieser Männerfreundschaft schien Berlusconi vorwiegend wegen der reichen Rohstoffvorkommen und des einträglichen Waffenhandels interessiert. Gaddafi wollte im Gegenzug allerdings auch Geld für den Kampf gegen Migration. Mindestens fünf Milliarden verlangte er für die Abwehr „unerwünschter Immigranten“: Libyen machte die Grenzen nach Westen hin dicht.
Italien und Europa konnte der Handel nur recht sein: Land und Kontinent waren nach den Aufständen in Ägypten und Tunesien stark gebeutelt worden: Hunderttausende Flüchtlinge suchten Zuflucht in Italien, die Flüchtlingsinsel Lampedusa drohte zu zerbersten, die EU ließ Italien allein. Also zahlte das Land die gewünschten fünf Milliarden an Gaddafi.
Frankreich drohte mit dieser engen Allianz und dem gleichzeitigen Abzug der Gaddafi-Milliarden eine Kettenreaktion von extremen wirtschaftlichen und finanziellen Rückschlägen – mit direkten Folgen für den Euro und die internationalen Banken: Gaddafi plante demnach den Abzug aller libyschen Ölguthaben von europäischen Konten, die vor allem in Frankreich lagerten. Sarkozy und die französischen Banken fürchteten, dass andere arabische Diktatoren diesem Schritt folgen würden. Die ohnehin schwer angeschlagenen französischen Banken hätten das nicht überlebt, der unter Druck stehende Euro wäre gefährdet gewesen.
Der Rest lief – ohne, dass die Bürger ein einziges Wort darüber in der Presse erfuhren – wie der Umsturz in Iran 1953 ab, den damals die CIA gesteuert hatte. Dieses Mal allerdings waren es vornehmlich die Franzosen, die den Umsturz in Libyen vorantrieben, so die Einschätzung unabhängiger Beobachter.
Unterschlagen wurde in der gesamten Berichterstattung über den Libyenkrieg auch, dass die NATO Uran-und Benzinbomben in Libyen einsetzte, auf zivile Gebäude, Hotels, Krankenhäuser, Wohnhäuser.
Haben Sie davon damals irgendwo gelesen oder gehört? In Ihrer Tageszeitung? In den Abendnachrichten? Hätte es Sie überhaupt interessiert?
Die von uns finanzierte NATO gab damals übrigens vor, in Libyen alleine mit dem Ziel zu operieren, Zivilisten zu schützen. Wer damals nicht im Bombenhagel starb, der macht sich heute auf den Weg nach Europa, in eine „bessere Welt“!
Was der Mensch sät, das wird er vielfach ernten. Die Geschichten aus Syrien, Irak und anderen afrikanischen Staaten klingen übrigens ganz ähnlich.
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