Südafrika: Explodiert das Pulverfass?
Nachdem der ehemalige Präsident Südafrikas Jakob Zuma vor wenigen Wochen inhaftiert wurde, kam es zu Protesten von Anhängern, die allerdings sehr schnell in rohe Gewalt, wüste Plünderungen und Gesetzlosigkeit im südlichen Teil Südafrikas ausarteten. War wirklich nur die Inhaftierung Zumas schuld? Was könnten weitere Auslöser für die jüngsten Ausschreitungen sein? Und sind die traumatischen Wunden der Apartheit in Südafrika wirklich ganz verheilt?
Eine Bestandsaufnahme von Ine Stolz
Am Mittwoch, den 7. Juli 2021, kurz vor Mitternacht, händigte sich der ehemals vierte Präsident Südafrikas Jakob Gedleyihlekisa Zuma der Polizei aus. Das Urteil gegen ihn war am 29. Juni 201, nach langen Jahren, gesprochen worden. Die jetzige Inhaftierung Zumas für fünfzehn Monaten löste umgehend die erwarteten Proteste bei seinen Anhängern aus der Zulu-Ethnie aus. Der neunundsiebzigjährige Zuma hatte sich während seiner neunjährigen Amtszeit von 2009 bis 2018 der Anordnung des obersten Verfassungsgerichts Südafrikas widersetzt, zu Korruptionsvorwürfen gegen ihn und Geldwäsche auf höchster Ebene auszusagen.
Er selbst bezeichnete das Vorgehen des Gerichts als Hexenjagd. Allerdings sei Zuma tief in die Kleptokratie zwischen Regierungsbeamten und einem kriminellen Syndikat verwickelt, was er bestreitet. Laut Analysten würde die Haft Zumas die Regierungspartei stärken und alte, fest verwurzelte Netzwerke in der Regierung, die dem ehemaligen Präsidenten loyal gegenüberstünden, untergraben. Zuma, der damalige Anti-Apartheid-Kämpfer, der 10 Jahre zusammen mit Nelson Mandela im Gefängnis saß, ist vor allem bei den armen Bevölkerungsschichten in den Townships noch immer beliebt. Seiner Tochter Dudu Zuma-Sambudla twitterte er vor Antritt seiner Strafe, er hoffe, es gäbe noch immer die gleichen Overalls auf Robben Island.1,2,3,4,6,7,8,10,11,12,13,14,15,16
Die südafrikanische Polizei South African Police Service (SAPS) zusammen mit – nach Anordnung der Regierung – geleisteter Unterstützung tausender bewaffneter Soldaten mit Armeefahrzeugen der South African National Defence Force (SANDF) sind seit Tagen in mehreren Städten gegen gewaltbereite marodierende Massen in den Straßen unterwegs. Supermärkte, die großen Malls – die einen vergessen lassen, dass man sich auf dem afrikanischen Kontinent befindet, sowie große Warenlager, wurden geplündert und angezündet. Die Horden hatten Koffer dabei, um ihr Diebesgut aus Kleidung, Elektronik, Nahrung und Alkohol abzutransportieren. Größere Geräte wie Mikrowellenherde oder Fernsehgeräte wurden auf dem Kopf davongeschleppt.
Solche Szenen, aber auch brennende Gebäude und Zusammenstöße, kann man sich auf Videos bei Youtube ansehen. Die anfänglich zahmen Proteste wuchsen sich schnell zu einer Spirale der Gewalt und chaotischer Gesetzlosigkeit aus, die durch die Militärpräsenz scheinbar noch angeheizt wurde und Zumas Anhänger darin bestärkte, Opfer eines politisch gewollten Zusammenbruchs zu sein, so wird es verkauft. Ist das tatsächlich so oder handelt es sich bei den plündernden Horden vielleicht um bezahlte Krawallmacher? Steine fliegen von der einen Seite, Gummigeschosse von der Anderen. Der öffentliche Verkehr kommt zum Erliegen, Autobahnen sind gesperrt, Panzer rollen. Proteste schlagen in scheinbar unverständlichen Vandalismus um, die schlimmsten Zusammenstöße seit Jahren in Südafrika, so hört man. Der derzeitige Präsident Cyril Ramaphosa geht sogar so weit zu sagen, es sei seit Ende der Rassentrennung nicht mehr so schlimm gewesen wie jetzt. Laut SAPS starben bis dato 72 Menschen und 1,234 wurden verhaftet.1,2,4,5,6,8,11,12,13,14,15,16

(Osaka – Japão, 28/06/2019) Presidente da República, Jair Bolsonaro, durante recepção ao Presidente da República da África do Sul, senhor Cyril Ramaphosa. Foto: Alan Santos / PR
Zumas Stiftung twitterte, bevor der ehemalige Präsident nicht aus der Haft entlassen sei, gäbe es auch keinen Frieden in Südafrika.1,5
27 Jahre nach Ende der Apartheid in Südafrika scheint die stetig schwelende Wut über die allgegenwärtige Armut, welche durch die über ein Jahr dauernden massiven Einschränkungen zur Eindämmung von Corona und die dadurch weiter angestiegene Arbeitslosigkeit noch größer zu sein. Die Ungerechtigkeit im Land ist zu einer auflodernden Flamme geworden. „Solche Taten gefährden Menschenleben und schaden unseren Bemühungen zum Wiederaufbau der Wirtschaft“, sagte Ramaphosa, als er am letzten Wochenende über die Corona-Pandemie im Land informierte.1,4,5,6,8,10,11,12,14,16
Bei einem Pressetermin hatte der nun inhaftierte Ex-Präsident Zuma die Corona-Maßnahmen der Regierung mit den Ausnahmezuständen während der Apartheid-Ära verglichen. Er warnte davor, die Leute zu sehr zu provozieren.3,5
Quasi gleichzeitig kam eine erneute 14tägige Verlängerung der Corona-Maßnahmen durch den amtierenden Präsidenten auf Grund der um sich greifenden Delta Variante. Durch die Unruhen würden die Impfkampagnen verlangsamt. Einige Impfzentren mussten geschlossen werden. Das Virus könnte sich schneller verbreiten, mahnt Ramaphosa.2,4,5
Mit im Durchschnitt 20.000 Infizierten pro Tag und 64.000 Todesfällen ist Südafrika in ganz Afrika am schlimmsten von Corona betroffen. Bei den derzeit hohen Infektionszahlen sollte man aber im Hinterkopf haben, dass im südlichen Afrika gerade Winter und dementsprechend Erkältungszeit ist. Die Impfung der Bevölkerung verlief bisher schleppend. Bis Ende August soll aber eine Impf-Rate von 300.000 pro Tag erreicht werden.14
Die Unruhen haben sich in der bevölkerungsreichsten Region Südafrikas von der Provinz KwaZulu-Natal an der Ostküste – Zumas Heimatprovinz, mittlerweile bis in die wirtschaftliche Metropole Johannesburg und Pretoria in der Provinz Gauteng und die Hafenstadt Durban ausgeweitet. Obwohl sich die Unruhen auf den Süden konzentrieren, könnten sie sich auf die Wirtschaft des gesamten Landes auswirken, denn wichtige Lieferketten werden unterbrochen. Laut Verteidigungsministerin Nosiviwe Mapisa-Nqakula sei der Notstand im Land (Stand 13.Juli) nicht ausgerufen.1,2,5,8,12,13,14,16,18,19
Human Right Watch appellierte bereits an die südafrikanischen Sicherheitskräfte, sich an internationale Strafverfolgungsstandards zu halten und wo immer möglich, keine Gewalt anzuwenden und Schusswaffen zu gebrauchen.13
Seitens eines Mitarbeiters des Institute for Justice and Reconciliation (IJR) in Kapstadt wurde Al Jazeera mitgeteilt, dass zwar Unruhen erwartet waren, allerdings nicht in solchem Ausmaß. Dieser Ausbruch offenbare die vielschichtige Krise in Südafrika, bestehend aus sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichten sowie der sozialen Ausgrenzung vieler Bevölkerungsgruppen, ein Erbe der Apartheid, gepaart mit jahrelanger Korruption in der Regierung.5,11,14
Präsident Ramaphosa sagte in einem Statement: „Dieser Moment hat uns deutlich gemacht, was wir bereits wussten: dass das Ausmaß an Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit in unserer Gesellschaft nicht nachhaltig ist. Wir können keinen dauerhaften Frieden erwarten, wenn wir keine Arbeitsplätze schaffen und eine gerechtere Gesellschaft aufbauen, an der alle Südafrikaner frei und gleichberechtigt teilnehmen können.“13
Die Gründe der derzeitigen Ausbrüche liegen auch tief in den unerfüllten Erwartungen und nicht gelösten Problemen nach Ende der Apartheitregierung und der ersten freien und demokratischen Wahl Nelson Mandelas 1994 verwurzelt.1,6
Das südafrikanische Institut für Risikomanagement Institute of Risk Management South Africa (IRMSA), der Rat für Konsumgüter Consumer Goods Council of South Africa (CGCSA) sowie die Industrie- und Handelskammer South African Chamber of Commerce and Industry (SACCI) haben die Übergriffe verurteilt. Laut SACCI seien Unternehmen das Hauptziel der Angriffe gewesen. Diese Art von Übergriffen wie das Abfackeln von Lastwagen oder die Zertrümmerung von Geschäften gäbe es nun schon seit Monaten, und das hätte keinerlei Bezug zur Inhaftierung von Zuma. Schon im September 2019 war es zu ähnlichen Krawallen im südlichen Teil Südafrikas gekommen.16,17
Laut Daten des südafrikanischen Statistikamtes Department of Statistics in South Africa, fallen 49,2 Prozent der über Achtzehnjährigen im Land unter die Armutsgrenze.14
Die südafrikanische Währung Rand fiel binnen weniger Tage auf ein Dreimonatstief, auch Aktienkurse von Immobilien- und Einzelhandelsunternehmen brachen ein.1,5
Während sich die Wirtschaft nur schleppend von den Corona-Maßnahmen erholt, liegt die Arbeitslosigkeit bei einem Rekord von 32,6 Prozent während des ersten Quartals 2021. Die Regierung Südafrikas führt für die hohe Arbeitslosigkeit unter anderen auf sowohl die schlechte Schulbildung als auch die Ausbildungslage zurück. Dementsprechend gibt es eine große Diskrepanz zwischen Arbeitsplatzangebot und Nachfrage. Die Folgen der weltweiten Krise 2008/09 haben sich ebenfalls hart auf Südafrika ausgewirkt. Das Interesse, ein Unternehmen im Land zu gründen, sei ebenfalls dürftig.1,5,6,14

By ITU Pictures from Geneva, Switzerland – Opening Ceremony, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=79253150
Der Premierminister von KwaZulu-Natal Sihle Zikalala äußerte sich in einer Ansprache im Fernsehen am 13. Juli 2021 zu den Geschehnissen. Es sei nicht zu beschönigen, dass die Provinz KwaZulu auf Grund der Gewalt, die wegen der Inhaftierung von Zuma entflammte und eskalierte, durch schmerzliche Zeiten ginge. Auch er hebt explizit den Schaden hervor, den das Land durch die Corona Pandemie erleiden musste und dass der Kampf gegen die Delta Variante durch die Revolte gefährdet sei, die sich nun unkontrolliert ausbreiten könnte. Vor allem der Gesundheitssektor sei stark betroffen, Kliniken mussten geschlossen werden. „Es ist äußerst besorgniserregend, dass die Demonstranten in einigen Fällen Fahrzeuge daran hinderten, dringend benötigten Sauerstoff zu liefern, der für Patienten gedacht war, die gegen COVID-19 und andere Krankheiten kämpften.“9
Danach geht Zikalala auf die wirtschaftlichen Schäden ein, die durch die Tumulte verursacht wurden. Man würde in der Regierung hart daran arbeiten, die Krawalle zu beenden. Es gäbe Treffen mit traditionellen und religiösen Führern als auch mit Diplomaten sowie Strukturen auf Gemeindeebene.9
Die Provinz KwaZulu-Natal habe großen Respekt vor Zumas Leistungen für Frieden und Versöhnung nach der Apartheit. Dieses Erbe solle jetzt nicht zerstört werden. Er habe sich um die Belange der marginalisierten Menschen im Land gekümmert. Gewalt könne die Probleme nicht lösen. Sowohl die Regierung als auch die Gesellschaften in den betroffenen Regionen, die sich selbst organisiert haben, um sich zu verteidigen, müssen jetzt zusammenarbeiten, um einer rassistischen Polarisierung entgegen zu wirken. Es sei an der Zeit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, als sich für Hass und Intoleranz zu entscheiden. Abschließend bedauert er den Tod des ehemaligen Premierminister Dr. Ben Ngubane sowie den Tod des jüngeren Bruders des Ex-Präsidenten Michael Zuma, die beide am Vortag verstarben. Eine Todesursache wurde nicht genannt.9
Das beste Mittel, die Unzufriedenen in Südafrika zu befrieden, wäre, dass die Regierung ihre Dienstleistungen erbringt und Polizei wie Gerichte gegen Korruption und Gesetzlosigkeit im Land vorgehen. Richterin Sisi Khampepe begann ihr Urteil gegen Zuma mit Nelson Mandelas Worten, die er 1995 bei seiner Amtseinführung an die Verfassungsrichter des Landes richtete: „Wir erwarten von Ihnen, dass Sie nicht nur vor direkten Angriffen auf die Grundsätze der Verfassung auf der Hut sind, sondern auch vor heimtückischer Korrosion.“3
Spiegel und Handelsblatt berichten am 15. Juli, dass die Ausschreitungen zwar beendet scheinen, die Regierung aber trotzdem die Militärpräsenz 5.000 Soldaten auf insgesamt 30.000 erhöht. Das kommt einer Totalmobilisierung aller Streitkräfte gleich. Vor Supermärkten und Tankstellen in der Krisenregion bilden sich, wie vorausgesagt, ewig lange Schlangen. Der Polizeiminister Bheki Cele hätte von einem Munitionsfund in Durban berichtet und davon gesprochen, dass sich einige auf Krieg vorbereiteten. Hausdurchsuchungen hätten begonnen und Cele drohte, dass vielen Haushalten ziemlich harte Zeiten bevorstände.18,19,20
Was genau passiert da gerade in Südafrika? Wer könnte ein Interesse an der Zerstörung der südafrikanischen Wirtschaft haben? Und liegt dieses Interesse vielleicht gar nicht auf dem afrikanischen Kontinent? Wer genau sind die Krawallmacher? Wo kommen sie her? Was treibt sie an? Und was hat das alles mit Corona zu tun? Handelt es sich vielleicht um eine Inszenierung? Orchestriert? Für mich wäre es durchaus vorstellbar, dass diese Eskalation tatsächlich irgendjemandem nutzt aber sicherlich nicht den Abermillionen marginalisierten schwarzen Südafrikanern in den Townships von Südafrika. In den heutigen Zeiten der „Alles Gleichmacherei“ geht es doch immer noch um Schwarz oder Weiß. Es geht um Haben oder nicht haben. Um arm und reich. Es geht um Ungerechtigkeit. Es geht um Schuld und Sühne. Es geht um Apartheit. Nicht lokal. Nicht kontinental, sondern global.
Und Desmond Tutu träumte von einer Regenbogennation……………
Zur Autorin:
Ine Stolz studierte Biogeographie – angewandte Ökologie an der Universität des Saarlandes, Agrarwissenschaften, spezialisiert auf die Tropen und Subtropen in Göttingen und promovierte in Ökotoxikologie (Wirkung von Pflanzenschutzmitteln in der Umwelt) an der Universität Basel.
Über einen Zeitraum von 25 Jahren war sie als Wissenschaftlerin, Projektleiterin und Beraterin in einem Dutzend Länder in Afrika südlich der Sahara tätig.
Literatur:
4 https://edition.cnn.com/2021/07/13/africa/south-africa-violence-protests-intl/index.html
5 https://www.aljazeera.com/news/2021/7/13/worst-violence-in-years-spreads-in-south-africa-amid-zuma-jailing
7 https://www.aljazeera.com/news/2021/7/8/jacob-zuma-turns-himself-in-to-south-african-police
8 https://www.voanews.com/africa/deadly-rioting-continues-south-africa
10 https://www.dw.com/en/south-africa-violent-rioting-grips-cities-in-wake-of-zuma-jailing/a-58234194
11 https://www.nytimes.com/2021/07/12/world/africa/zuma-protests-violence.html
12 https://www.washingtonpost.com/world/2021/07/12/south-africa-zuma-protests/
13 https://www.hrw.org/news/2021/07/13/south-africa-respect-rights-while-policing-riots
14 https://gulfnews.com/special-reports/what-is-behind-south-africas-latest-unrest-1.1626187471074
17 https://www.archive.org/www/news/467860-90-people-arrested-riots-johannesburg/