Teil 3: Geschlechteridentitäten
Eva Herman
Davids Geschichte ist im Nachhinein ein trauriger Beweis für die zahlreichen Forschungsergebnisse, die erst in den letzten Jahren von Neurobiologen veröffentlicht wurden. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern beschränken sich nämlich nicht nur auf äußerlich sichtbare Merkmale wie Geschlechtsorgane, Brüste oder Bartwuchs. Sie umfassen darüber hinaus eine Fülle von mentalen und psychischen Gegebenheiten. So gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen der männlichen und der weiblichen Hirnstruktur. Die Konsequenz daraus sind typische Verhaltensmuster und Fähigkeiten, die sich jeder ideologisch geführten Diskussion entziehen.
Richtig interessant wird es, wenn Neurobiologen auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede sozialen Verhaltens und der kognitiven Fähigkeiten zu sprechen kommen. Dazu zählen Gemütsbewegungen-und Gefühle, Gedächtnis- und Sinnesleistungen sowie die Reaktionen auf Stressimpulse.
Weitab von der schöpfungsgemäßen, also natürlichen Unterscheidung von Mann und Frau haben zahlreiche Verfahren wie die Kernspintomographie und die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) rein faktisch zahlreiche Unterschiede in einer Reihe von Hirnregionen offenbart. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist vor allem das limbische System betroffen, Sitz der Emotionen.
Zunächst wunderten sich die Forscher, als sie entdeckten, dass das limbische System bei Frauen weit weniger aktiv ist als bei Männern, wenn es um das Erkennen von Gefühlen in einem Gesicht geht. Waren sie unbeteiligter? Nein, es verhielt sich genau umgekehrt; Frauen mussten sich dabei offenbar weniger anstrengen. Die spezifisch mütterliche Fürsorgefunktion musste zu einer besseren Herausbildung der Gefühlserkennung geführt haben – und deshalb fiel sie den Frauen leichter.
Inwieweit aus dieser Beobachtung eine biologisch-natürliche Unterschiedlichkeit abzuleiten ist, das anzunehmen oder abzulehnen bleibt gewiss jedem Menschen selbst überlassen. Jeder aber, der sich die Frage stellt, wie es sein kann, dass eine lange Geschichte der Zivilisation typische Unterschiede nicht hat abschleifen können, findet bei der modernen Humanbiologie eine Fülle von Informationen, die nachdenklich machen müssen.
Gerade wenn es um das Thema Kommunikation und Gefühle geht, gibt es einiges zu entdecken. Im Allgemeinen ist es einfach, im Gesicht des Gegenübers Reaktionen zu erkennen und einzuordnen. Unabhängig von Sprache und Kultur ist leicht zu erkennen, ob ein Mensch traurig, ängstlich, ärgerlich, überrascht oder glücklich ist. Ein Test ergab, dass beim Einordnen von glücklichen Gesichtern beide Geschlechter gleich gut abschnitten. War der Gesichtsausdruck allerdings traurig, ergab sich ein deutlicher Unterschied. Während Männer nur in 70 Prozent der Fälle auf die richtige Antwort tippten, kamen die Frauen auf 90 Prozent. Es ist nicht zu weit hergeholt, daraus auf eine höhere Befähigung der Frauen zur Anteilnahme bei Leid und Unglück zu schließen.
Auch bei der Abspeicherung von Informationen im Gedächtnis konnten unterschiedliche Verarbeitungsweisen festgestellt werden, insbesondere was die andersartige Einordnung in den beiden Hirnhälften betraf. Die Versuchsergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen sich besser Einzelheiten einer Geschichte merken können, während Männer den ganzheitlichen Aspekt im Auge haben.
Die Gründe sind einleuchtend. Der Bereich von Schläfen- und Stirnlappen, in dem die Verarbeitung räumlicher Wahrnehmung und des Sprachverständnisses stattfindet, sind bei beiden Geschlechtern unterschiedlich organisiert. Die Größe einzelner Regionen unterscheidet sich, auch die Dichte der Nervenzellen zeigt auffallende Abweichungen. All das wird im Augenblick der Zeugung bestimmt – und somit auch die spezifische Einteilung in ein weibliches und männliches Verhalten.
Feministinnen ignorierten derartige Forschungsergebnisse. Die Einteilung in männlich und weiblich sei nichts weiter als ein gesellschaftlicher Willkürakt, kein biologisch begründbarer Unterschied. »Nichts, nicht Rassen- oder Klassenzugehörigkeit markiert uns so wie unsere Geschlechtszugehörigkeit«, konstatierte Alice Schwarzer. »Mit dem Ausruf: Es ist ein Mädchen! oder Es ist ein Junge! sind die Würfel gefallen. Unser biologisches Geschlecht dient vom ersten Tag an als Vorwand zum Drill zur Weiblichkeit oder zur Männlichkeit. Da gibt es kein Entkommen.«
Auszug aus dem Bestseller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006
Bildnachweis: Flickr / Ted Eytan – CC BY-SA 2.0 , cropped
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