Treibt Hormonspirale Millionen Frauen in Krankheit und Psychowahn?
März 2014
Eva Herman
Eine furchtbare Tragödie erschüttert eine Familie im deutschsprachigen Raum: Die 40-jährige Mutter eines achtjährigen Jungen ist spurlos verschwunden. Sie verliess an einem Morgen das Haus, offenbar in grosser Eile. Zuvor hatte sie etwa eine Stunde lang im Internet nach Suizid-Möglichkeiten gesucht. Plausible Gründe für dieses Verhalten gibt es nicht, ausser vielleicht einen: Die Frau hatte sich kurze Zeit zuvor eine Hormonspirale einsetzen lassen.
Wer eine Recherche über dieses Verhütungsmittel beginnt, erlebt sein blaues Wunder: Viele Frauen werden lebensmüde, Panikattacken und Verfolgungswahn haben schon so manche Patientin in die Psychoklinik oder sonst wohin gebracht. Verschwörungstheorien: Leider nicht. Wie stellte die Grazer Gesundheitszentrum-Chefin Sylvia Groth im Jahr 2007 fest? 96 Prozent der Teilnehmerinnen, die die Hormonspirale seit drei bis sechs Monaten benutzten, haben Beschwerden. Nach dreijähriger Anwendung hatten noch immer 90 Prozent Beschwerden – entgegen der Herstellerinformation, die besagt, dass diese nach den ersten Monaten aufhören würden.
Das Verschwinden der Frau, die mit ihrem kleinen Sohn und dem Lebensgefährten, den sie im Sommer heiraten wollte, bislang ein ganz normales Leben geführt hatte, schockierte den gesamten Bekanntenkreis. Als einer ihrer engsten Verwandten seine Vermutung über die Hormonspirale Mirena als Grund von Panikattacken mitteilte, waren zunächst alle erstaunt. Doch dann begab man sich auf die Suche. Und wurde schnell fündig: In zahlreichen deutschen und internationalen Erfahrungsforen warnen scharenweise Frauen nachdrücklich vor dieser Hormonspirale. Die Leidenswege klingen teilweise wie aus den gruseligen Forschungslaboren des Dr. Jekyll:
Joana schreibt: »Bald nach dem Einsetzen der Spirale habe ich eine Art der Lustlosigkeit und ständiges nervöses Anspannen gemerkt. (…) Mit der Zeit aber wurden meine Stimmungsschwankungen immer heftiger, es hat sich bei mir eine tiefe Depression eingenistet und ich war ständig in einer aggressiven Grundstimmung. Die letzten 3 Monate waren der reinste Alptraum. Ich habe nur noch an Selbstmord gedacht, hatte ohne ersichtlichen Grund Weinkrämpfe in unmöglichsten Situationen (auch in der Öffentlichkeit) gekriegt und war psychisch nur noch ein Wrack. Konnte nicht essen, nicht schlafen und habe in meinem Leben nichts mehr geregelt gekriegt. (…) Eine Freundin von mir hat ihre schlechten Erfahrungen mit einer Hormontherapie beschrieben und da hat es bei mir „ping“ gemacht (…)Meine Ärztin wollte den Zusammenhang zwischen der Spirale und meinem psychischen Zustand nicht wahr haben«.
In einem anderen Beitrag heisst es: (…) Es kamen Erschöpfungszustände hinzu und migräneartige Kopfwehattacken mit Erbrechen. Immer häufiger hatte ich auch unkontrollierte Wutausbrüche und darauf Weinkrämpfe (…). Im Februar 2000 begab ich mich dann selber in eine ambulante psychiatrische Behandlung, nachdem ich meinen Partner physisch angegriffen hatte. (…) Ich hatte auf alles (…) eine unsägliche Wut und ein Ohnmachtsgefühl sondergleichen, aber ich wusste nicht wieso! (…) Also versuchte ich durch die Flucht vor dem Arbeitsstress, mein Gleichgewicht wieder zu finden. Gefunden habe ich fast meinen Tod – mein Gemütszustand verschlechterte sich drastisch (…) Ich rannte vor ein Auto und wollte mich bewusst verletzen lassen oder vielleicht sogar töten? Ich wurde aber nicht überfahren, der Automobilist konnte im letzten Moment ausweichen und fuhr in einen Gartenzaun. Ich wurde in die geschlossene psychiatrische Klinik eingeliefert…«
Eine weitere Betroffene: » Ich dachte schon ich habe die schlimmsten Depressionen mit allem was dazu gehört. Todesangst! Musste unendliche Arztbesuche hinter mich bringen: Neurologe, Radiologe,Psychologe, Nuk-Medizin (Schilddrüse) Lungenfacharzt und Orthopädie. Der nächste Termin wäre die Mammographie weil ich auch so ein starkes Ziehen an den Seiten meiner Brüste habe. Unfassbar! Hätte ich gewusst, dass das alles von der Mirena kommt, hätte ich sie mir nicht einsetzten lassen. (…)«
»(…) Ich bekam Panikattacken, hatte das Gefühl (beim Einschlafen) keine Luft mehr zu holen. War beim Lungenspezialisten. Kurze Zeit später bekam ich auch tagsüber Panikattacken : Herzrasen oder dachte beim Herz setzt aus. Vor einer Woche habe ich mir die Mirena Spirale herausnehmen lassen und siehe da: mir geht es schon viel besser !!! Ich habe am Wochenende soviel gelacht wie schon ewig nicht mehr!! Ich habe Kontakt zu Freunden wieder aufgenommen und diese sagen mir, dass ich mich viel besser anhöre«.
Augenprobleme, Herzstolperer, Stimmungsschwankungen (Heulen, Wut), ständige Müdigkeit, fast durchgehende Kopfschmerzen, fast jeden Tag Bauchweh, Blähungen mit Koliken, Schwindelgefühle, Antriebslosigkeit, Zysten. Doch auch Gebärmutterentzündung, ständige innere Unruhe, verschwommenes Sehen, trockenes Auge, Mundtrockenheit, Ohrgeräusche, Zittern und Muskelkrämpfe werden genannt.
An anderer Stelle heisst es: »Nachdem ich letzte Woche mal wieder im I-Net nach Erklärungen für meine vielen Wehwehchen suchte, stiess ich durch Zufall, MEIN GLÜCK, auf dieses Forum hier. Ich begann zu lesen und mir wurde immer schlechter. Je mehr ich las, desto sicherer wurde ich mir, dass ich doch nicht verrückt geworden bin, wie mir ganz nett umschrieben sämtliche Ärzte einreden wollten. Ich hörte immer nur: Ihre Werte sind tip top, sie sind organisch kerngesund, sie bilden sich das ein, psychosomatisch bedingt….. bla bla bla.…«
Bei all diesen Berichten wird deutlich, dass zahlreiche Frauenärzte offenbar eine merkwürdige Rolle in Sachen Mirena-Hormonspirale zu spielen scheinen. Viele nehmen die massiven Probleme der Frauen nach dem Einsetzen der Spirale nicht wirklich ernst, vielmehr suchen die meisten, die Zustände der Betroffenen zu verharmlosen und herunterzuspielen.
Alleine in deutschsprachigen Foren finden sich tausende dieser Erfahrungsberichte. Weltweit sind es weitaus mehr. Inzwischen haben sich – auf internationaler Ebene – Selbsthilfegruppen gebildet, und zwar nicht nur gegen Mirena, sondern ebenso gegen das Produktionsunternehmen BAYER. Ausserdem gab es 2010 eine Petition gegen den Pharma-Riesen, die von knapp zweitausend Frauen unterschrieben wurde. Darin wurde der Konzern nachdrücklich aufgefordert, detailliertere Angaben zu den möglichen Nebenwirkungen zu machen. Die Frauen fühlten sich nur unzureichend informiert, die mangelhaften Hinweise würden dazu führen, dass unzählige Frauen falsch behandelt würden, weil die Ursachen ihrer Beschwerden lange Zeit im Dunkeln blieben.
Mehr als die Hälfte der Frauen bricht Mirena-Anwendung vorzeitig ab
Dieser äusserst wichtige Punkt wird in den zahlreichen Wortbeiträgen im Internet, vielfach bestätigt: Jahrelange Irrwege durch Arztpraxen müssen die Frauen auf sich nehmen, umfangreiche unangenehme Untersuchungen über sich ergehen lassen, allermeist jedoch ohne Erfolg, frei nach dem lobbyfreundlichen Motto: Ausser Spesen nichts gewesen.
In dem an die US-Aufsichtsbehörde Food and DrugAdministration (FDA) gerichteten Schreiben wird kritisiert, dass der Beipackzettel des von der Firma BAYER vertriebenen Produkts nur einen geringen Teil der Nebenwirkungen nennt. Die detaillierteren Angaben in den Informationen für Ärzte würden den Patientinnen meist nicht zur Kenntnis gebracht.
In einem Zeitungsartikel hiess es 2010: Mehr als jede zehnte Anwenderin von Mirena leidet unter schweren Nebenwirkungen, u.a. Depressionen, Zyklusstörungen, Gewichtszunahme, Eierstockzysten, Unterleibsschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Akne, Hautkrankheiten und Kopfschmerzen. Zudem besteht der Verdacht auf Erhöhung des Brustkrebsrisikos. Mehr als Hälfte der Frauen bricht die Mirena-Anwendung vorzeitig ab.
Die Petition zeigte offenbar eine erste Wirkung, damals, 2010, die allerdings heute bereits wieder vergessen zu sein scheint. Die FDA untersagte eine Mirena-Werbekampagne nach dem Muster von »Tupper-Partys«, die flächendeckend Frauen zur Hormonspirale überreden sollte. In dem Verbot hiess es, dass das Marketing von BAYER »die Wirksamkeit übertrieben darstellt, unbegründete Behauptungen aufstellt und die Risiken von Mirena bagatellisiert«, so der Bericht. Im Rahmen der Kampagne sollten Promotion-Teams von BAYER in Privatveranstaltungen auftreten. Thomas Adams von der FDA: »Dies war für uns extrem Besorgnis erregend, da dieses Produkt hohe Risiken trägt – unter anderem Infektionsgefahr und Verlust der Fruchtbarkeit«.
Jan Pehrke von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: »Die Aufsichtsbehörden müssen endlich ihren Respekt vor BAYER und Co. ablegen und Medikamente mit erhöhtem Gefahrenpotential verbieten«.
Auf der Webseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medikamente wurde noch 2012 folgende Warnung gegen die Hormonspirale Mirena ausgesprochen, die heute jedoch offenbar offline genommen wurden:
Im Rahmen eines Stufenplanverfahrens des BfArM und in Abstimmung mit anderen Arzneimittelbehörden in der EU wurden vom pharmazeutischen Unternehmer (Schering Deutschland GmbH, jetzt: Bayer Vital) zusätzliche Risikoangaben in die Produktinformationen von Mirena® aufgenommen. (…) Anlass des Stufenplanverfahrens war eine auffällige Anzahl von Spontanberichten über Brustkrebserkrankungen, Uterusperforationen und ektope diagnostizierte Schwangerschaften bei Frauen, denen Mirena® eingelegt wurde.
Auch in der Schweiz und Österreich sind heftige Diskussionen entbrannt über die Hormonspirale Mirena. In einer Debatte mit der Grazer Gesundheitszentrum-Chefin Sylvia Groth heisst es im Jahr 2007 unter anderem: 96 Prozent der Teilnehmerinnen, die die Hormonspirale seit drei bis sechs Monaten benutzten, haben Beschwerden. Nach dreijähriger Anwendung hatten noch immer 90 Prozent Beschwerden – entgegen der Herstellerinformation, die besagt, dass diese nach den ersten Monaten aufhören würden. Dreissig Prozent der unzufriedenen Frauen seien von ihren Gynäkologen auch dementsprechend vertröstet worden. Fast allen Patientinnen mit Beschwerden (93 Prozent) wurde geraten, sich die Spirale nicht entfernen zu lassen. 35 Prozent haben die Anwendung der Hormonspirale letztlich doch abgebrochen.
Merkwürdigerweise wurde die Diskussion an dieser Stelle offenbar nicht weitergeführt. Während auf einer Extra-Internetseite noch angeboten wurde, über einen Fragebogen die Erfahrungen vieler Frauen zu sammeln und auszuwerten, wurde das Thema jedoch schnell beendet, keine Auswertungen, keine Informationen. Auch anderweitige Versuche, im Internet die Diskussionen zu den Nebenwirkungen der Hormonspirale weiterzuführen, endeten häufig im Nichts.
In der Broschüre der Homepage von BAYERS Hormonspirale »Mirena® – Kopf frei für die Liebe« heisst es unterdessen immer noch: Kompakt aufbereitet finden sich auch die wichtigsten Gründe, die für Mirena® sprechen: Ihre gute Verträglichkeit und bequeme Anwendung sowie ihre sehr hohe Sicherheit.
Welche Rolle die Frauenärzte in diesem Geflecht übrigens spielen, wird recht deutlich bei BAYER dargestellt: »Gynäkologen können die Broschüre als zusätzlichen Service in ihrer Beratung einsetzen und ihren Patientinnen die Möglichkeit geben, alles Wissenswerte zu Hause noch einmal nachzulesen. Interessierte Ärzte erhalten die Broschüre »Mirena® – Kopf frei für die Liebe« über den Bayer Schering Aussendienst oder über die Servicehotline. Das sind die offiziellen Angebote. Doch jeder, der die Pharmaindustrie von innen kennt, weiss, was die Riesen es sich kosten lassen, um ihre Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen.
Das zeigt auch eine lange Liste mit vielen Namen Dutzender Arztpraxen alleine in Deutschland, die bei BAYER unter »Kopf frei für die Liebe« aufgeführt werden. Wer dort anruft, wird herzlich zum ersten Mirena-Gespräch eingeladen. Das Kartell zwischen Pharma-Industrie und der Ärzteschaft funktioniert bestens.
Die vermisste Frau aus Mitteldeutschland ist übrigens drei Wochen später gefunden worden: Sie war in eine deutsche Klinik, hunderte Kilometer von ihrem Heimatort entfernt, eingeliefert worden: Ohne Erinnerungen an ihr früheres Leben! Ihr Gedächtnis ist auch nach monatelangem Klinikaufenthalt bis heute nicht zurückgekehrt, nur mühsam versucht sie nun, ihren kleinen Sohn, ihre Eltern und Freunde, wieder »neu kennenzulernen«. Die verzweifelte Familie kann die Anfälle von Verfolgungswahn und Panikattacken nicht vergessen, die die Frau einige Wochen vor dem unglücklichen Ereignis befallen hatten: Kurz, nachdem sich die Vierzigjährige die Hormonspirale Mirena hatte einsetzen lassen. Die behandelnden Ärzte sehen keinen Zusammenhang.
Ist es nicht merkwürdig, dass in unserer so aufgeklärten Zeit von Internet und umfangreichen Kommunikationsmöglichkeiten, solche unheimlichen Vorgänge täglich – völlig legal- aufs Neue stattfinden können, ohne wirkliche Öffentlichkeit, ohne Anklage und Richter?
Wie schreibt Betty auf einem der Mirena-Foren? »An alle, die mit dem Gedanken spielen, diese Hormonspirale als Verhütung einzusetzen -Finger weg!!! An alle, die sie haben – weg damit«!!!
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Seite der »Expresszeitung«
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