Die „Brombombe“: Sind unsere Weltmeere noch zu retten?
Februar 2014
Eva Herman
Das Ökosystem unseres Planeten gerät aus dem Gleichgewicht. Nicht nur massive Luftverschmutzungen und schwere Schädigungen des Grundwassers durch chemische Giftstoffe sorgen weltweit für wachsende Probleme. Vor allem werden jetzt auch die immensen Gefahren durch die Verseuchung unserer Weltmeere sichtbar, die sämtliche Lebensgrundlagen schon bald völlig infrage stellen könnten.
Einer der Hauptverursacher schwerster Schäden in den weltweiten Meeres-Ökosystemen findet sich – neben der globalen Verunreinigung aller Art – in der globalen Schifffahrt, und zwar durch das Ballastwasser. Dieses bringt einen hochgefährlichen Feind für Mensch, Tier, Natur und Umwelt in die Welt: Die Brombombe! Und die tickt!
Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schreibt dazu: „In der globalisierten Weltwirtschaft werden über zwei Drittel der Handelsgüter mit Seeschiffen befördert. Die Seeschifffahrt ist damit der wichtigste Verkehrsträger national und weltweit. Schiffe befördern nicht nur Ladung zwischen den Kontinenten, sondern auch unerwünschte „blinde Passagiere“, Organismen, die sich an der Schiffshaut festsetzen, vor allem aber im Schiff selbst mitreisen. Einer der wichtigsten Pfade der Verschleppung von Organismen verläuft über diesen Weg, die Reise im Ballastwasser von Schiffen“.
Zwar sind die Gefahren für die weltweiten Ozeane besorgniserregend, doch das Ballastwasser ist für die Seeschiffe unverzichtbar. Nur so können die Meeresriesen ihre Kapazitäten ausnutzen, kann die Gewichtsverteilung des Schiffes unabhängig vom Beladungszustand reguliert werden. Das Ballastwasser wird in der Regel nach der Entladung im Hafen in spezielle Schiffstanks gepumpt und in einem anderen Hafen meist bei der Beladung wieder abgelassen. Und hier liegt das Problem: Durch das zuweilen über tausende Meilen transportierte und an anderer Stelle ins Meer abgelassene Ballastwasser werden fremde, nicht kompatible Organismen in heimische Ökosysteme eingeschleppt, schädigen diese schwer oder zerstören sie gar. Das Ballastwasser, das am Abfahrtshafen aufgenommen wird, enthält stets eine Vielzahl von zum Teil winzigsten Lebewesen, die in neuen Umgebungen durchaus schädliche Auswirkungen haben können.
In der Fachzeitschrift Mare wird ein Beispiel, stellvertretend für tausende andere, erläutert. Während der Ladungsaufnahme, 500 KM nordwestlich von New Jersey, entlässt ein Frachter Tausende von Tonnen Ballastwasser in den Eriesee. Darin befinden sich unzählige „blinde Passagiere“. Das Schiff hatte in Europa bei der Ballastaufnahme massenhaft Larven der europäischen Zebramuschel Dreissena polymorpha mit an Bord genommen. Wörtlich heißt es: „Diese Larven gelangen jetzt in eine neue Welt. Bereits wenige Jahre später ist die unscheinbare Muschel zu einer ökologischen Katastrophe geworden. Myriaden von Zebramuscheln bilden mehrere Zentimeter dicke Beläge auf Küstenstreifen und in Wassertanks. Wasserwerke, Kläranlagen und Industriebetriebe werden lahmgelegt, weil Zebramuscheln die Wasserleitungen verstopfen. Spezialfirmen müssen die alles überwuchernden Muscheln mit Hochdruckgeräten entfernen.“
Nach Angaben der Wissenschaftler wird der Schaden, der alleine durch die Verschleppung der Zebramuschel verursacht wurde, auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt. „Hinzu kommen noch nicht genau bestimmbare ökologische Schäden, die mit harter Münze nicht aufzuwiegen sind. „Die Zebramuschel hat das Potential, die gesamten Vereinigten Staaten und den Süden Kanadas zu besiedeln“, sagt John Gannon vom nationalen Fischereiforschungsinstitut. „Mit der Zunahme des internationalen Seeverkehrs, der Geschwindigkeit und der Größe der Schiffe, sind nichtheimische Organismen, Aliens genannt, zur ernsthaften Bedrohung geworden.“
Die ökologische Katastrophe ist programmiert. Und die Wissenschaftler sind ratlos. Denn noch längst nicht sehen sie sich in der Lage, die weitere Entwicklung der gestörten Lebensgemeinschaften vorherzusagen. Mare zählt auf: „Nicht nur die USA, auch andere Kontinente werden heute von sich massenhaft vermehrenden Fremdorganismen heimgesucht: Die Rippenqualle Mnemiopsis leydii wurde im Ballastwasser von Frachtschiffen aus den USA in das Schwarze Meer verschleppt. Mittlerweile ist dort das gesamte Ökosystem gefährdet, und die Anchovis-Fischerei muss große Fangeinbußen hinnehmen, da sich die Quallen von Anchovislarven und von Kleinkrebsen, die den Fischen als Nahrung dienen, ernähren. Natürliche Feinde wie zum Beispiel Butterfische, die den Bestand der Rippenqualle im Atlantik begrenzen, hat sie im Schwarzen Meer nicht.“
Mutationen, Genveränderungen, Massenbefall fremder Arten: Die Liste der Horrorbeispiele, die letztlich auch ein relevanter Bestandteil der Nahrungskette für den Menschen sind, ließe sich noch lange fortsetzen. Fakt ist: Das Gleichgewicht der Weltmeere wird durch die Übergriffe fremder Arten, die tödlichen Vernichtungskriegen gleichen, nachhaltig und irreparabel zerstört.
Doch das sind nicht die einzigen Gefahren. Im Fachmagazin Nature weist der US-amerikanische Wissenschaftler Gregory M. Ruiz vom Smithsonian Environmental Research Center nach, dass mit dem Ballastwasser auch riesige Mengen von Bakterien und Viren in fremde Gewässer transportiert werden: „Bei 15 untersuchten Ballastwassertanks fanden die Wissenschaftler rund 800 Millionen Bakterien pro Liter Wasser und etwa sieben Milliarden virenähnliche Organismen. Kaum zu glauben: In allen Tanks ließen sich außerdem Cholera-Erreger nachweisen. Die Mikroorganismen überleben den Transport über große Distanzen ohne Probleme.“
Zahlreiche Verfahren wurden in den vergangenen Jahren bereits erprobt, um die immensen Globalgefahren durch das befallene Ballastwasser endlich in den Griff zu bekommen. Denn mit dem international beschlossenen Ballastwasserübereinkommen, welches voraussichtlich ab 2016 in allen in Ländern in Kraft tritt, dürfen die weltweiten Reedereien künftig kein unbehandeltes Ballastwasser mehr ablassen. Doch es scheint sich um ein aussichtsloses Unterfangen, eine Schraube ohne Ende, zu handeln: Es gibt einfach kein passendes Reinigungssystem!
Nahezu alle erzielten Vorteile durch neue Behandlungsmethoden geraten allermeist schnell wieder ins Hintertreffen, denn sie verursachen stets neue Gesundheitsgefahren. Dazu stellt BfR fest: „Mit dem Inkrafttreten des Ballastwasserübereinkommens muss auf allen Seeschiffen ab einer bestimmten Größe Ballastwasser zukünftig so aufgearbeitet werden, dass es fast frei von Lebewesen und Keimen ist. Die hygienischen Anforderungen sind erheblich, sodass ausschließlich starke Oxidationsmittel oder Bestrahlungen eingesetzt werden können, um die Organismen abzutöten, die mit dem Ballastwasser aufgenommen werden.“
Doch, so bestätigt das Institut, finden bei der Behandlung allermeist chemische Reaktionen statt, die zur Bildung neuer chemischer Stoffe im Ballastwasser führen: „Solche Desinfektionsnebenprodukte können zu gesundheitlichen Risiken führen. Die meisten der bisher zugelassenen Behandlungsverfahren basieren auf unspezifischer Desinfektion durch Oxidationsmittel, die zum Teil erst an Bord erzeugt werden (z.B. Hypochlorit, Wasserstoffperoxid, Ozon).“
Die Brombombe
Ob es sich also um die seit einiger Zeit erprobten UV-Behandlungen handelt, oder um die mit Ozon,-oder Chlordioxid, oder auch mit Peressigsäure durchgeführten Reinigungen: Alle die derzeit auf dem Markt befindlichen oxidativen Verfahren reißen auf der einen Seite wieder ein, was sie gerade auf der anderen Seite aufbauten. Nach der jüngsten Veröffentlichung des Weißbuches Emerging Risk Of Ballast Water Treatment durch das bundesdeutsche Institut für Risikobewertung schlagen neben den internationalen Forschern jetzt auch Umweltschützer und Organisationen der Fischerei- und Nahrungsmittelindustrie Alarm. Denn durch die genannten modernen Behandlungsmethoden wird das natürliche, im Meerwasser in geringen Mengen gebunden vorkommende Brom freigesetzt. Ein verheerendes Signal!
Das hochgiftige und stark ätzende chemische Element reagiert nämlich stets mit den im Ballastwasser vorhandenen Mikroorganismen sowie mit anderen organischen Stoffen, indem es neue persistente Bromverbindungen bildet: Ein Teufelskreis, denn diese organischen Bromverbindungen weisen, wie neuere Forschungsergebnisse zeigen, genotoxische (krebserregend und genmutierend) und cytotoxische (zell-und gewebeschädigend) Eigenschaften auf, welche die gesamte Fischbrut im Zielgebiet der Ballastwasserablassung in Gefahr bringen. Von den Folgen des Fischverzehrs durch den Menschen ist hier noch gar nicht die Rede.
Auch das BFR ist besorgt: „Aus Erfahrung mit der Trinkwasserdesinfektion, die auf ähnlichen Prinzipien beruht, weiß man, dass vor allem chlor- und bromhaltige Desinfektionsnebenprodukte gesundheitsschädlich sind. Von einigen dieser Stoffe (z.B. Chloroform, Dichlorbrommethan und Dichloressigsäure) ist bekannt, dass sie krebserregend wirken. Bei vielen anderen wird vermutet, dass sie Schäden an der Erbsubstanz hervorrufen können.“
Betroffen von diesem Bromproblem sind sämtliche Ballastwasseranlagen, die freie Hydroxylradikale als stärktes Oxidationsmittel erzeugen, sowie alle Anlagen, welche die Ballastwasserbehandlung mit Ozon, mit Hypochlorit, mit Chlordioxid oder mit Peressigsäure durchführen. Auch eine Nachbehandlung der Bromverbindung mit Sulfit oder Thiosulfat ist, entgegnen den Aussagen der Anbieter, ebenso nicht möglich.
Auf der im Oktober 2013 in Hamburg durchgeführten Ballast-Water-Management-Tagung befassten sich zahlreiche Referenten mit dieser hochgefährlichen „Brombombe“! Sie unterstrichen die derzeitige Hilflosigkeit sämtlicher zuständigen Institutionen weltweit. Derzeit sei noch kein Verfahren in Sicht, welches die enormen Probleme auch nur annähernd lösen könnte, so die Redner. Dabei steht fest, dass die Schifffahrt ohne das Ballastwasser auch künftig nicht existieren kann. Immer wieder wiesen die Redner auf die steigende Anzahl von Artikeln und Veröffentlichungen hin, die in letzter Zeit in den renommierten internationalen Fachzeitschriften zu diesem Thema publiziert wurden und die existenziellen Gefahren hinreichend beleuchteten. Doch was tun? Wer trägt jetzt die Verantwortung? Und wer soll die Kosten übernehmen? Hier steht einerseits die Zukunft der globalen Weltwirtschaft auf dem Spiel, andererseits geht es jedoch um die Existenz unseres Planeten.
Auf der Hamburger Tagung wurde übrigens deutlich gemacht, dass nicht die Reedereien das ganze Risiko tragen könnten, indem sie, wie in der Vergangenheit geschehen, immer neue, teure Ballastwassertank-Systeme ausprobierten, die jedoch wegen der hochgradigen Gefährdung der Fischbestände und der Nahrungsmittelkette über kurz oder lang immer wieder ausgebaut werden müssten.
Eine Lösung sehen die Experten derzeit nur in der Bereitstellung eines Ballastwassertanksystems der „dritten Generation“, das nichtoxidativ wirkt und das zudem das vor allem auch im Ballastwassertank vorhandene Sediment zu desinfizieren in der Lage sein wird. Doch wer kann es entwickeln?
Wer sich die abschließende Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung zu besagter „Brombombe“ durchliest, ahnt, dass der Mensch bislang nur den Bruchteil aller drohenden Gefahren beziffern kann, die auf die Welt mit diesem Problem zusteuern:
„Das BfR schätzt, dass ein Großteil der Desinfektionsnebenprodukte noch nicht identifiziert wurde und viele Stoffe mit unbekanntem Risiko für die Gesundheit entstehen. Der überwiegende Teil der bisher im behandelten Ballastwasser analysierten chemischen Stoffe ist derzeit noch unreguliert, meist auch toxikologisch unzureichend charakterisiert!“
In Anbetracht der Tatsache, dass die Schäden der Brombombe so gut wie niemals mehr zu reparieren sein werden, geht es hier um nicht weniger als das Fortbestehen unserer Erde! Man kann nur hoffen, dass es den internationalen Wissenschaftlern und Experten gelingen möge, schnellstmöglich eine Lösung zu finden.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der „Stimme Russlands“