Europa in Angst – was tun?
März 2016
Eva Herman
Es war ein Osterfest, wie wir es hier in Europa zuvor wohl noch nicht erlebten. Seit den Terroranschlägen in Brüssel ist die Angst groß, dass weitere Attentate folgen könnten. Ein Angriff auf Europa war es gewesen, auf den angeblich so starken Zentralstaat. Die Gefahr des islamistischen Terrors ist so hoch wie niemals zuvor, sämtliche Sicherheitsbehörden sind mit den Ermittlungen und dem Schutz der Bevölkerung, den doch niemand gewährleisten kann, ausgelastet, öffentliche Gebäude, Atomkraftwerke, Publikumsveranstaltungen werden von bis an die Zähne bewaffneten Milizen bewacht.
Die Sicherheit ist dahin, das trügerische Gefühl einer angeblichen Sicherheit erst recht. Viele Bürger sind jetzt in Sorge, alles ist unkalkulierbar geworden. Doch genau die Angst ist es, die uns jetzt überhaupt nicht weiterhilft, im Gegenteil, sie wird zum ärgsten Feind, wenn wir nicht achtgeben. Die Gebilde, welche unsere Angst überhaupt erst formt, sind von ganz übler Art. Sie lagern über der Menschheit wie eine unsichtbare Macht, zerstörend alles, was Lebendigkeit und Bewegung bedeutet.
Denken wir einmal an die Geschichte des chinesischen Wegbereiters Lao-Tse, der im sechsten Jahrhundert vor Christi gelebt hatte. Dieser war, nach einer langen, spirituellen Ausbildung, als gelber Lama, aus den kargen Hallen eines altehrwürdigen, tibetischen Klosters ausgezogen, um in seiner Heimat die Chinesen von der Dämonenfurcht zu befreien. Zuvor musste er jedoch die Mechanismen selbst kennenlernen, auf welche Weise die gewaltigen, furchterregenden Fratzen, welche das alte China beherrschten, zustande kamen. Dieser Weg dauerte lange, für jeden neuen Schritt zur Erkenntnis wurde Lao-Tse ein bestimmter Meister zur Seite gestellt.
Als er eines Tages in eine große Stadt kam, war die Aufregung überall zu spüren: Hier herrschten besonders üble, riesige, furchteinflößende Phantome. Die Menschen waren von blanker Angst getrieben, wie aufgescheuchte Rinder stoben sie durch die Straßen. Als der Wegbereiter einen alten Tempel betrat, kam ihm ein greiser Gelehrter entgegen, der ihm in leisen Worten anheim legte, das Gebäude so schnell wie möglich zu verlassen, denn groß sei die Gefahr, dass auch er von den Angstgebilden verfolgt würde. Lao-Tse, dessen Auftrag es war, standhaft zu bleiben, spürte plötzlich, wie auch in ihm langsam ein kaltes Grausen hochkroch, angesichts der verzerrten, hasserfüllten Gebilde. Je stärker dieser Eindruck ihn in Beschlag nahm, umso größer wurde die Lähmung, die ihn gleichzeitig erfasste.
Plötzlich erblickte er hinter dem alten Mönch, der vor eine kleine Gruppe ängstlich in einer Ecke kauernde Menschen getreten war, furchterregende Gestalten. Je lauter die armen Menschen wimmerten, je größer auch Lao-Tses Furcht nun wurde, um so riesiger bildeten sich die Scheußlichen weiter aus, die mit höhnischem Grinsen sich nun wieder und wieder auf die Menschen herunter stürzten. Auch der Wegbereiter spürte, wie sich eine kalte Hand an sein Herz legte und ihm die Atemluft abdrücken wollte, als er schlagartig gewahr wurde, dass er selber es zu sein schien, der mit der inneren Angst genau diese böse lachenden Dämonengebilde erst heranzog.
Lao-Tse hatte in den vielen Jahren hinter Tibets Klostermauern die perfekte Körperbeherrschung gelernt, die unabdingbar ist für jemanden, der mit festem Schritt allen Herausforderungen des Lebens Meister werden will. Augenblicklich zwang er die Angst in sich nieder. Dies gelang ihm deswegen, weil er um die unendliche Gnade des Schöpfers wusste, der er teilhaftig werden konnte, wenn er den Höchsten nur um Hilfe rief. Als er dies getan hatte, formten seine Lippen folgende Worte, die er an die wütenden Dämonen richtete, welche sofort spürten, dass sich ihnen gegenüber eine unbekannte Macht aufbaute, die weitaus größer war als sie. Lao-Tse sprach: Im Namen des Allmächtigen befehle ich Euch, Ihr Dämonen, zu vergehen. Aus Angst seid ihr geboren, aus unreinen Gedanken emporgewachsen. Ich sage Euch: Löst Euch jetzt auf, wie Angst und Unreinheit vergehen müssen.
In diesem Moment konnte jeder, der dieser widerlichen Ausgeburten angesichtig geworden war, selbst mit ansehen, wie diese an Größe plötzlich einbüßten, nachließen, immer kleiner wurden. Ihr höhnisches Grinsen wich, nun bekamen sie selbst Angst. Mit kläglicher Miene suchten sie verzweifelt, dem hohen Befehl des Lama auszukommen, doch es war nicht möglich: Die Kraft, die den Meister umgab, war unwiderstehlich, sie zwang die Dämonen, in Nichts zu vergehen.
Lao-Tse hatte mit gebieterischer Miene und klarer Stirn den Vorgang bis zum Ende gebracht, kühnen Blickes hatte er abgewartet, bis auch die letzten Stäubchen der Horde von Teufeln verschwunden waren. Seine innere Haltung duldete keinen Widerspruch, wie auch seine äußere machtvoll wirkte, so sehr die Dunklen sich auch anschickten, durch Auswege zu entkommen: Die Kraft des Erhabenen, die dem unverbrüchlichen Vertrauen, ja, dem Wissen des weisen Lama entsprang, überwand alle finsteren Gegenkräfte spielend.
Ungläubig hatten die eben noch vor Angst schlotternden Menschen den Vorgang verfolgt, hatten erlebt, wie ein einzelner Menschengeist Unglaubliches vollbracht hatte: Sämtliche Dämonen waren fort! Langsam erhoben sie sich aus der dunklen Ecke, taumelten dem Wegbereiter entgegen. Auch der alte Mönch hatte sich von seinem Erstaunen erholt und ging auf Lao-Tse zu, wissen wollend, wie ihm dieses Wunder wohl gelungen sei. Dieser verneigte sich mit einem Lächeln und gab mit leiser, doch fester Stimme zum Ausdruck, dass es nicht seine Kraft gewesen sei, sondern er diese von oben herbeigebeten habe. Nur die Angst des Menschen selbst mache die Entstehung der Dämonen erst möglich. Je größer die Angst der Menschen werde, umso größer die Gebilde, die sie schließlich hartnäckig verfolgten. Je größer das Vertrauen in den Allmächtigen jedoch, umso schneller müssten sie vergehen.
Die Menschen sahen sich erstaunt an: Die Dämonen entsprangen den Hirnen der Menschen? Man müsse nur den Hocherhabenen anrufen und ihm vertrauen?
Schon 2600 Jahre liegt das Geschehen zurück. Es war Lao-Tse in der Tat gelungen, für eine Zeit lang sein riesiges Heimatland von der Dämonenfurcht zu befreien. Doch was er, der Weise aus dem fernen Osten, geschafft hatte, wäre heute noch genauso möglich. Angesichts der aktuell immer gefährlicheren Lage in Europa, angesichts auch der Tatsache, dass wir KEINE Lösungen mehr parat haben, um das Schiff aus schweren Gewässern herauszuführen, müssten wir da nicht vielleicht ganz neue Wege suchen, um mit diesen Zuständen irgendwie zurechtzukommen? Das letzte, was wir tun dürfen, ist doch jetzt, in Angst zu verfallen. Wer diese immer größer werden lässt, der blockiert sich selbst und sein Umfeld, kann niemals Meister werden über sein Schicksal.
Vertrauen in den Schöpfer: Vielleicht bleibt uns bald keine andere Option mehr? Es könnte uns wichtiges Gebot werden, um die bevorstehenden, schweren Zeiten irgendwie zu überstehen, in einem gebeutelten Land, welches in Händen von Politikern liegt, die von allen guten Geistern verlassen zu sein scheinen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Preussischen Allgemeinen Zeitung
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