»Ihr seid Idioten!«
Eva Herman
Am vergangenen Osterwochenende wurden mehrere Menschen im deutschsprachigen Raum schwer verletzt oder ermordet. Sie wurden zum Teil schwer misshandelt, erstochen, massakriert. Die meisten Täter sind flüchtig. Flüchtig auch unser Schreck, der von der nächsten bösen Überraschung schon wieder vertrieben wird. Das, was gestern für uns noch undenkbar war, ist heute allgemeine Realität geworden. Der Mensch gewöhnt sich an alles. Das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen: Unvorstellbar. Aber weit genug entfernt, offenbar kann man es noch fortschieben aus den alltäglichen Gedanken.
Was bringt es noch, darüber zu schreiben? Es ist doch vergebens. Nichts ändert sich. Es fehlen einem die Worte.
Tripolis statt Lampedusa
Am vergangenen Osterwochenende wurden etwa 8000 Migranten (in Worten: Achttausend!) aus dem Mittelmeer »gerettet«. BILD berichtete gestern über die Zustände in einem libyschen Flüchtlingsgefängnis, wohin die Menschen dann gebracht werden. Die Zeitungsreporter schildern die grausamen Zustände: Männer, Frauen, Alte, Kinder und Säuglinge. »Es sind Menschen, die nach Europa wollten. Und dann in einem Gefängnis in Tripolis gelandet sind«. Gerade sind sie von der »Fütterung« vom Hof gekommen, so nennen sie es selbst, nur zu ausgewählten Zeiten dürfen sie nach draußen. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Äthiopien, Nigeria und dem Sudan.
»Wir werden immer wieder geschlagen. Bis gerade hatten sie noch ihre Schlagknüppel in den Händen, sagt Mouza (22) aus Gambia.« Die Fotos sprechen Bände.
»Wenn es nach der EU geht, dann sollen künftig noch viel mehr Flüchtlinge auf diese Weise ferngehalten werden, über einen Deal wie mit der Türkei wird gesprochen«, schreibt BILD. Hilflosigkeit.
In den ersten drei Monaten 2017 wurden 35 000 »Flüchtlinge gerettet«
Kann es noch aussichtsloser sein? Allein in den ersten drei Monaten 2017 waren es bereits über 35 000 Menschen, die im Mittelmeer aufgegriffen wurden. Es ist erst der Anfang der Saison. Und die, die es geschafft haben, nach Europa zu gelangen, was erwartet sie hier? So ist eine Mega-Katastrophe vorprogrammiert. Sie rollt auf uns alle zu, hüben wie drüben.
Doch was bringt es noch, darüber zu schreiben? Es ist doch vergebens. Nichts ändert sich. Es fehlen einem die Worte.
Schuld sei Europa, sagt man hier in Libyen. Wer sich die geostrategischen Strukturen ansieht, weiß, dass das stimmt: Europa und USA. Angriffskriege, Rohstoffkriege, Terror, Plünderungen, Sklavenhandel. Und das größte Problem in Libyen sei, dass es weiterhin keinen echten Staat gebe, heißt es. Auch das ist richtig: Seit die NATO Libyen 2011 kaputt bombte und Regierungschef Gaddafi zum »bösen Diktator« erklärte und ihn schließlich ermordete, ist es mit der öffentlichen Ordnung in Libyen dahin. »Viele schwer bewaffnete Milizen, die jeweils ihre eigene Region für sich beanspruchen und dort viel Geld im Schlepperwesen verdienen.«
Die verzweifelten Menschen versuchen es immer wieder
BILD traf dann einen der Schlepper: »Wir treffen Mousaid (48), der vor Kurzem verhaftet wurde, er hat über Jahre Geld als Schlepper verdient, meist zwischen 800 und 1200 Euro pro Person. Er sagt: Europa hat immer noch nicht verstanden, wie verzweifelt diese Menschen sind. Momentan versuchen sie es immer wieder.«
Genau so ist es. Damit sollten wir rechnen. Denn in ihrer Heimat haben diese »Flüchtlinge« genau so wenig zu erwarten, ihre Länder sind kaputt. Sie wurden kaputtgemacht. Sie wissen auch, wer dafür die Verantwortung trägt. Und so versuchen die Männer und Frauen, die Alten, die Kinder und Säuglinge es immer wieder: Auf halsbrecherische Weise stürzen sie sich in die völlig überfüllten Boote skrupelloser Schlepper und Schleuser, die keinen Pfifferling geben für die Menschen: »Selbst viele von denen, die in ihre Heimatländer abgeschoben werden, versuchen es noch mal. Bassam sagt: Europa ist und bleibt mein Traum, dafür werde ich alles tun…«
Doch was bringt es noch, darüber zu schreiben? Es ist doch vergebens. Nichts ändert sich. Es fehlen einem die Worte.
Muammar al Gaddafi: Ihr zerstört die Mauer, Ihr seid Idioten!
Der libysche Staatschef Gaddafi hatte uns, die westliche Welt, übrigens einst vor dem Krieg gegen sein Land gewarnt. Am 30. April 2011, also vor fast genau sechs Jahren, kurz vor seinem gewaltsamen Tod, sagte er wörtlich: »Und jetzt hört Ihr, Ihr Leute von der NATO: Ihr bombardiert jetzt die Mauer (Libyen) die die afrikanische Migration nach Europa aufhält. Ihr bombardiert die Mauer, die die Terroristen von Al Quaida aufhält. Diese Mauer war Libyen, ihr zerstört diese Mauer: Ihr seid Idioten! Für Abertausende afrikanische Migranten und für die Unterstützung von Al Quaida werdet Ihr im Feuer der Hölle verbrennen. Und so wird es sein!«
Doch was bringt es noch, darüber zu schreiben? Es ist doch vergebens. Es wird sich wohl nichts mehr ändern…
Bildnachweis: US Navy
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