Teil 16: Das Unbehagen der Frauenversteher
Eva Herman
An dem bereits erwähnten Abend, an dem ich mit anderen Fernsehgästen über Männer und Frauen diskutierte, nahm mich zu vorgerückter Stunde ein junger Schauspieler zur Seite, ein typischer Vertreter der Turnschuhgeneration, Mitte dreißig, lässig, attraktiv. »Ich muss unbedingt mit Ihnen über die Männerrolle sprechen«, sagte er. »Seit zwei Stunden höre ich nun Ihrer Diskussion zu, und das alles wühlt mich ungeheuer auf. Ich habe das Gefühl, dass ich nach langen Jahren der Verzweiflung endlich der Lösung meines Lebensproblems näherkomme.«
Ich war völlig überrascht. Dieser Mann hatte Lebensprobleme? Er, der so entspannt auftrat und mit seiner lockeren Art zur Kultfigur geworden war? In eindringlichen Worten schilderte er, dass er als Kind bei seiner Großmutter aufgewachsen war. Die Mutter arbeitete, seinen Vater hatte er nie kennen gelernt. Er war, wie er berichtete, ein zufriedenes und höfliches Kind gewesen, das gut mit seinem von Frauen geprägten Umfeld auskam. Da über den Vater, nie gesprochen wurde, habe er ihn auch nicht wirklich vermisst.
Erst mit Beginn der Pubertät beschäftigte ihn die Frage nach seinen Wurzeln immer eindringlicher. Doch obwohl er auf Auskünfte drängte, erhielt er keine Antwort. Der Vater? Ein weißer Fleck auf der Familienlandkarte. Als hätte es ihn nie gegeben. Und so wurde der Junge immer mehr in den weiblichen Kokon eingesponnen, völlig integriert in die Welt der Frauen.
Das blieb nicht ohne Folgen. In der Schule und während des Studiums stand er im Ruf eines Frauenverstehers. »Weil ich ein Softie bin und die Frauen wirklich gut begreife«, erklärte er. Dann aber merkte er traurig an, er habe öfter als die anderen jungen Männer von seinen Geschlechtsgenossen »eins aufs Maul« bekommen, einfach nur, so, wahrscheinlich, weil sie ihn als Ihresgleichen nicht anerkannten. Und überhaupt sei er nachdenklich geworden, was seine abgeschwächte Männlichkeit betreffe. »Mittlerweile gefalle ich mir nicht mehr in der Rolle des Softies«, bekannte der Schauspieler. Seine Worte klangen ernst, er war sichtlich bewegt.
»Zunehmend. habe ich nämlich das Gefühl, dass ich den Mann in mir unterdrücken muss, um es meiner Freundin recht zu machen.«
Ich fragte genauer nach und er erzählte, dass er nicht mehr wie früher als alleinlebender Student mit seinen Kumpels samstags ins Fußballstadion gehe, obwohl er das wirklich liebend gerne täte. Vielmehr spaziere er, um der Beziehung willen, mit seiner Freundin von einer Parfümerie in die andere, um neue Düfte auszuprobieren und aktuelle Lippenstiftfarben zu begutachten. »Könnte es sein«, fragte er aufgeregt, »dass der-Einfluss meiner Großmutter und meiner Mutter heute noch so groß ist, dass ich mich selbst als erwachsener Mann nicht von diesen Mustern lösen kann? Dass ich, ob ich will oder nicht, auf Frauen höre und deren Wünsche erfülle, auch wenn meine eigenen auf der Strecke bleiben? Oder habe ich es versäumt, das zu erkennen und rechtzeitig die Notbremse zu ziehen?«
Ja, das mit dem weiblichen Einfluss könnte zutreffen, bestätigten einige Tage später zwei Psychologen unabhängig voneinander, die ich um ihre Meinung gebeten hatte, als ich ihnen von dieser Biographie berichtete. Es gebe viele Hinweise darauf, dass die Feminisierung in der Erziehung viele Jungen und jugendliche Männer in eine schwere Leistungs- und Identitätskrise geführt hätten.
Ein Freund fiel mir ein, Kai, Lehrer für Deutsch und Geschichte, ein ausgesprochen amüsanter Mann, voller Charme und immer bereit, eine ganze Partyrunde mit seinen Geschichten zu unterhalten. Ein echter »Frauentyp«. An Gelegenheiten mangelt es ihm nicht. Doch die längste Beziehung, die er als Mittvierziger hinbekommen hat, dauerte elf Monate. Warum nur? Er selbst ging der Sache auf den Grund. In einer schwachen Stunde verriet er mir, dass er sexuell regelmäßig versage, hinzu komme seine Angst vor Bindung. Und die Ursache liege, das werde ihm allmählich klar, in seiner Kindheit.
Sein Vater sei gebrochen aus dem Krieg zurückgekehrt, die Mutter war dominant gewesen und habe ihren Sohn abgöttisch geliebt, ihn gleichzeitig aber so fest an sich gebunden, dass er kaum Luft bekam – und nun hatte er auch in Beziehungen zu Frauen sehr rasch das Gefühl zu ersticken. Zur Übermutterung kam die unbedingte Autorität: Er hatte seiner Mutter regelrecht zu Füßen liegen müssen. Die Folge: Heute könne er aus diesem Grund Frauen weder »erobern« noch ihnen die »starke Schulter« bieten.
So weit ist es also gekommen, dachte ich. Frauen dürfen schon lange keine Frauen mehr sein, wenn man den Thesen des Feminismus folgt, und nun dürfen auch die Männer keine Männer mehr sein! Wollen wir das wirklich? Vermännlichte Frauen und verweiblichte Männer? Wem nützt das eigentlich? War das der Sieg, den die Feministinnen im Sinn hatten? Starke Frauen und schwache Männer?
Zumindest in der Generation der heute unter Zwanzigjährigen zeichnet sich ab, dass Männer die großen Verlierer sind und weiter sein werden, gesellschaftlich und auch beruflich: Und das nicht etwa, weil sie sich um des Beziehungsfriedens willen nicht mehr auf den Fußballplatz trauen. Sondern weil sie in einem nachhaltig feminisierten Klima aufwachsen, das jede legitime männliche Wesensart unterdrückt.
Die männlichen Jugendlichen von heute erfahren vermehrt eine männerfreie Welt. Viele leben mit ihrer alleinerziehenden Mutter zusammen, in einem Familientorso also, wo der Vater fehlt oder nur sporadisch anwesend ist und kaum Einfluss nimmt. Die »vaterlose Gesellschaft«, einst als Etikett der Nachkriegsgeneration erfunden, ist längst zum Schlagwort auch für unsere Gegenwart geworden. Das führt dazu, dass Jungen den fehlenden Vater kompensieren und sich häufig mit überzeichneten maskulinen Fantasiefiguren wie dem Terminator (alias Arnold Schwarzenegger) identifizieren. Sie träumen von Männlichkeit und Stärke, erleben aber nicht wirklichkeitsgetreu, wie diese Prinzipien aufs menschliche Maß reduziert und relativiert werden können. Das führt zu einer Fehleinschätzung der eigenen Stärken und Fähigkeiten und schließlich dazu, dass die Jungen in der Schule keine angemessenen Leistungen mehr erbringen, weil sie in einer Traumwelt versunken sind, statt konzentriert am Unterricht teilzunehmen.
Nicht nur das familiäre Milieu, das gesamte pädagogische Betreuungs- und Ausbildungssystem unseres Landes ist vom Kindergarten bis zum Gymnasium überwiegend von weiblicher Erziehung geprägt. Und so werden Jungen vor allem nach den Maßstäben von Frauen gemessen; jede altersgerechte und für Jungen normale Art der vermeintlichen Aggression, jeder. Kampf um die Hackordnung in der Klasse, jede Rebellion wird als »verhaltensauffällig« eingestuft und verboten. Daher lernen die Jungen nicht, Konflikte und durchaus gesunde Rangordnungskämpfe auszutragen und auszuhalten, sich zu versöhnen und ihre Aggression auf diese Weise zu steuern und zu kontrollieren.
Jungen erscheinen Lehrerinnen als wesentlich anstrengender. Sie sind eben nicht so pflegeleicht wie Mädchen, sie sind weniger angepasst, nicht so kommunikativ und »nett«, und wenn sie dann noch verschlossen oder störrisch auftreten, erkennen die Erzieherinnen häufig nicht das Muster, das sich dahinter verbirgt: die Erprobung der Männlichkeit. Schon vor vielen Jahrzehnten hat der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich darauf aufmerksam gemacht, dass Väter eine andere Rolle bei der Erziehung spielen als Mütter – und dass Kinder beides brauchen. Der Mann vermittelt stärker Realitätseinsichten, schleift allzu viel Egozentrik ab, er bereitet den-Jungen stärker als die Mutter auf die rauen Gesetze der »Welt da draußen« vor, die nur durch Zügelung des Egos und durch funktionierende innere Kontrollinstanzen erobert werden kann.
Für die Schule gilt das Gleiche wie für das häusliche Umfeld: Für die Persönlichkeitsbildung ist es unerlässlich, Lehrer und Lehrerin, Männliches und Weibliches zu erfahren. Doch stattdessen kann es passieren, dass ein Abiturient in seiner Kindergarten- und Schulzeit bis zu seinem neunzehnten Lebensjahr unter Umständen nicht einen einzigen Mann erlebt.
Wenn dieser Junge es denn überhaupt bis zum Abitur schafft. Längst ist der männliche Nachwuchs nämlich schulisch auf der Verliererstraße. Vorbei die Zeiten, als man mutmaßte, Mädchen würden von den Jungen in der Schule unterdrückt und beiseitegeschoben. Nun stehen diese im Abseits. Jungen werden bei der Einschulung häufiger zurückgestellt als Mädchen; bleiben öfter sitzen, etwa im Verhältnis von sechzig zu vierzig, und sie werden verstärkt in Sonderschulen abgeschoben. Bundesweit machen – mit wachsender Tendenz – im Durchschnitt mehr Mädchen als Jungen-Abitur, und Jungen haben zu 14 Prozent häufiger keinen Abschluss.
Sie werden zunehmend als Risikogruppe erkannt; dennoch gibt es kaum Ansätze, die verunsicherten Kinder speziell zu begleiten. Die Publizistin Susanne Gaschke nennt fünf Problemschwerpunkte, die das Dilemma des Mannes deutlich machen: 1. Die massiven Erziehungs- und Bildungsprobleme des männlichen Nachwuchses. 2. Die zunehmende, praktisch ausschließlich männliche Gewaltkriminalität. 3. Die für Männer besonders ungünstige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. 4. Ihre Unfähigkeit, sich auf Familie und Vaterschaft einzulassen. 5. Der Mangel an kulturellen Vorbildern für einen zukunftsfähigen Mann neuen Typs.
Ob diese Auflistung von Mängeln und Problemen bei hartgesottenen Feministinnen klammheimliche Schadenfreude hervorruft? Möglicherweise. Denn angesichts einer Sichtweise, die Männer rundweg zu gewaltbereiten Unterdrückern macht, muss das alles wie eine ausgleichende Gerechtigkeit wirken. Dabei kann es keiner Gesellschaft gleichgültig sein, dass fast die Hälfte ihrer Bürger nachweislich Probleme hat oder, bekommen könnte. Volkswirtschaftlich gesehen sind schlecht ausgebildete, zornige und nicht leistungsbereite Männer nicht nur ein soziales, sondern auch ein finanzielles Problem. Ein Krisengebiet mehr, das sich unser Staat nicht mehr leisten kann. Auch Dr. Christian Pfeiffer vom kriminologischen Institut Hannover schlägt Alarm: »In Zukunft werden wir uns neben den Folgen des demographischen Wandels um dieses Thema kümmern müssen – und zwar mit aller Kraft. Andernfalls landen wir im Chaos!«
Angekündigt hat sich die Krise der jungen Männer schon vor vielen Jahren. So überschrieb die Zeit bereits 2002 einen Artikel mit der Schlagzeile: »Die neuen Prügelknaben.« Der Bericht setzte sich mit den Folgen einer; einseitigen Bildungsförderung auseinander die zugunsten der Mädchen verläuft. »Die Jungen wurden neben einer übereifrigen Mädchenförderung schlicht vergessen«, hieß es.
Auszug aus dem Bestseller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006
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