Teil 20: Frauen denken um
Eva Herman
Der Schlüssel für ein Umdenken in der Gesellschaft sind wir Frauen. Wir besitzen ein tiefes Wissen, wie Bindungen und Gefühle entstehen, wie ein Netz der Geborgenheit gespannt wird, wie wir als Partnerin und Mutter zwischen den verschiedenen Bedürfnissen vermitteln können. Wir haben den Blick für Probleme, die in der Gemeinschaft anliegen, und den für ihre Lösungen. Das ist eine Lebensaufgabe, unsere Lebensaufgabe, und kein Zweitjob. Was lange verleugnet wurde: Diese Bestimmung kann uns Frauen umfassende Zufriedenheit und dauerhaftes Glück bescheren.
Wir verbrachten Jahrzehnte damit, den leeren Versprechungen der Emanzipation hinterherzulaufen. Wir waren der irrigen Ansicht, dass wir unsere Würde verlieren, wenn wir Kinder bekommen und uns selbst um sie kümmern. Und wir sahen im Mann, den die Schöpfung als natürliche Ergänzung, als Bereicherung und Stärkung der Frau vorsah, nur noch den Feind, der uns versklaven will. Diese Leitbilder bejubelten wir, als wären wir im Rausch. Mittlerweile macht sich Ernüchterung breit. Und wir geben zu, dass wir am wahren Daseinssinn im Namen des Fortschritts grandios vorbeilebten.
Das tat auch Ines. Sie ist heute Anfang vierzig und hat die, wie sie mir sagte, schmerzhafteste Erfahrung ihres Lebens vor nicht allzu langer Zeit hinter sich gebracht Mit Anfang dreißig lernte sie Christian, ihren späteren Mann, kennen, die Heirat ließ nicht lange auf sich warten. Ines wollte nach ihrem Studium und einer Ausbildung zur Werbekauffrau erst einmal ausgiebig Berufserfahrung sammeln und Geld verdienen, sie hatte einen gut bezahlten Job in einer angesehenen Agentur. Für Nachwuchs hätten sie später noch Zeit, sagte sie. Christian, der; ein mittelständisches Unternehmen leitete, wünschte sich jedoch viel früher eine richtige Familie, und er wollte gleich mehrere Kinder. Auch wenn sie etwas kürzer treten müssten, so wäre das doch nicht so schlimm, meinte er immer, das Geld für den Lebensunterhalt würde er schon aufbringen können. Die Versuche, mit Ines darüber zu sprechen, tat sie meistens mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. Wenn die beiden sich spätabends nach der Arbeit in ihrer Stadtwohnung trafen, war Ines mit ihren Kräften häufig am Ende; Sie wollte ihre Ruhe haben, schließlich hatte sie den ganzen Tag geredet, verhandelt, telefoniert.
Christian hätte sich gern öfter mit seiner Frau bei einem Glas Wein über seine täglichen Erlebnisse unterhalten, auch ihren Rat gebraucht. Als er das einmal monierte, rastete Ines aus. Was sie denn eigentlich noch alles leisten solle?, fragte sie ihn. Sie fühle sich mit dem Job überfordert, kämpfe täglich in einem Haifischbecken um ihre Beförderung, obwohl ihr am Ende womöglich doch ein anderer Arbeitskollege zuvorkomme. Dazu sei sie ständig der Gebärforderung ihres Mannes ausgesetzt, die sie nicht mehr aushalte. Weinend rannte sie aus dem Haus und konnte sich erst Stunden später wieder beruhigen. Diese Ausbrüche wiederholten sich, Gespräche zwischen den beiden wurden immer seltener, dafür traf sich Christian abends häufiger mit Freunden oder Kollegen.
Kurze Zeit später lernte er auf einer Dienstreise Anne kennen, eine junge Frau, die Anteil an seinem Leben nahm und ihm zuhörte.
Die beiden trafen sich öfter, sie gab ihm Empfehlungen, wie er sich im seinem Beruf besser etablieren konnte. Anne war eine warmherzige und kluge Frau, die zwar selber arbeitete, doch auch viel für andere tat. Sie war Krankenpflegerin und betreute in der Freizeit ihre alte Nachbarin, für die sie regelmäßig einkaufen ging und Besorgungen erledigte. Christian war hin- und hergerissen, denn ihm wurden zwei völlig unterschiedliche Lebensentwürfe vorgeführt. Und schließlich kam es, wie es kommen musste: Nach langem und schmerzhaftem Ringen um die richtige Entscheidung verließ er seine Frau und zog zu Anne.
Für Ines brach eine Welt zusammen. Doch es war zu spät. Sie saß vor den Trümmern ihres Privatlebens und fürchtete sich vor dem Alleinsein: »Es ging alles so schnell«, schluchzte sie. »Ich glaubte, wir hätten eine vorübergehende Krise, doch auf. einmal war Christian weg. Und schuld bin ich ganz allein, ich habe zu wenig Rücksicht auf meinen Mann genommen, seine Bedürfnisse habe ich einfach überhört.« Und leise fügte sie hinzu: »Seine neue Freundin soll schwanger sein. Für mich dagegen ist der Zug wohl abgefahren.«
Mit diesem Beispiel wird uns vor Augen geführt, wie schnell manchmal unsere Lebensplanung in die andere Richtung gelenkt wird, mit allen schmerzhaften Konsequenzen und ohne die Möglichkeit, an dem Kurs noch etwas ändern zu können. Sollte Ines nicht in Kürze einen neuen Partner finden, stehen die Chancen für Kinder schlecht. Und für Enkelkinder. Für das Glück einer Familie eben. Mit Anfang vierzig gellt das nicht mehr »mal eben so«. Frauen, die sich eben noch für fähig hielten; jederzeit die Weichen pro Familie stellen zu können, stehen im nächsten Augenblick mit leeren Händen da. Wenn der Mann fort ist, fehlt auch der mögliche Vater: für Kinder. Und den findet man in der Regel nicht im Vorübergehen.
Viel später, wenn man den Mut für eine ehrliche Bestandsaufnahme hat, zeigt sich häufig auf tragische Weise, wie einfach das Leben in Wirklichkeit ist, so lautete Ines‘ Einsicht. Sie hat Recht. Es geschieht in der hektischen Zeit heute nur noch selten, dass wir in uns hinein hören und ihr lauschen, der inneren Stimme, unserem zuverlässigen Ratgeber für ein erfülltes Leben.
Auszug aus dem Bestseller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006
.