Teil 19: Der deformierte Mann
Eva Herman
Die Tabuisierung der eigenen Männlichkeit – männliche Rituale und selbst harmlose männliche Macken eingeschlossen – lässt in Männern das Gefühl entstehen, sie seien grundsätzlich Versager. Sie zweifeln an sich und sie zweifeln noch mehr daran, die Widersprüche auch noch innerhalb einer Familie zu ertragen. Auch der Mann braucht Freiheit – nicht nur die Frauen, die Emanzipation als nahezu grenzenlose persönliche Freiheit verstehen.
Besonders abwegig ist es, dass die öffentliche Diskussion über Männer Einzelerscheinungen zu Trendsettern hochjubelt. Lässt sich David Beckham mit einem Haarreifen auf dem Fußballplatz sehen, wird sofort ein neues Männerbild herbeigeredet, die so genannte Metrosexualität, ein Wechselspiel zwischen Mann und Frau. Wenn Robbie Williams in seinen Musikvideos anstößige Posen und aufreizend gekleidete Mädchen vorführt, wird gleich darüber diskutiert, ob Männer wieder »bad boys«, also böse Jungs sein dürfen. Und wenn Günther Jauch sich zu preußischen Tugenden und zum Tischgebet bekennt, scheint der Patriarch wieder in Mode zu kommen.
Dauernd wird also am Mann herumerzogen, ständig werden neue Rollen und neue Regeln erfunden, als sei er ein wildes Gewächs, das erst beschnitten werden muss, um in den Garten zu passen.
Es ist höchste Zeit, das Kriegsbeil zu begraben. Selbst einstmals männerfeindliche Feministinnen wie die Amerikanerin Susan Faludi, die die Männer dämonisiert hatte, lenken mittlerweile ein. Und Betty Friedan, altgediente Veteranin des amerikanischen Feminismus, betont heute, dass einseitige Schuldzuweisungen an die Männer uns nicht weiterbrächten. In Bezug auf bessere Lebensbedingungen verriet sie schon vor mehr als einem Jahrzehnt dem Spiegel (3/1995): »Wir können das nicht gegen die Männer auskämpfen, nur gemeinsam mit ihnen.«
Und, wichtiger noch: Sie räumte auch gleich auf mit dem Mythos des Mannes als bedrohlichem Übermenschen. Während deutsche Feministinnen Männer immer noch gern als gewaltbereite Sexmonster verteufeln, bemerkt Friedan schlicht: »Er muss wettbewerbsfähig sein, den Potenznormen genügen, und das ist verflixt schwierig.«
Viel zu lange wurde der Mann im Krieg der Geschlechter als Supermann gesehen. Doch auch er hat Probleme, sucht Anerkennung, hat Ängste, fühlt sich von Normen bedrängt. Keinesfalls ist er nur der souveräne Despot. Und noch weniger ist er Urheber allen Übels. Die verschiedenen Rollenbilder und Ansprüche zerren an ihm nicht weniger als an den Frauen. Der Psychiater Peter Riedesser beschreibt die Situation im Juni 2006 in der Zeit so: »Die Männer sind zerrissen zwischen dem Wunsch, eine Frau zu finden, die sie lieben, und eine gute Beziehung zu ihren Kindern zu haben, und dem Bedürfnis, der Arbeitswelt mit ihren Karrieremustern gerecht zu werden. Den Frauen geht es nicht anders. So treffen also innerlich zerrissene Männer auf innerlich zerrissene Frauen.«
Riedesser betont, dass »die hergebrachten Begriffe von Mütterlichkeit und Väterlichkeit« neu definiert werden müssten. »Der Hausmann der siebziger Jahre, der in Latzhose versuchte, die bessere Mutter abzugeben, war doch eine belächelte Figur.« Stattdessen müsse es darum gehen, die gleichberechtigte Elternschaft zu leben – jedoch auf der Basis konturenscharfer Unterschiede zwischen Frau und Mann. »Der Vater ist Vorbild und Identifikationsfigur für den Jungen, und für das Mädchen ist er der erste männliche Mensch, von dem es sich ermutigt oder abgewiesen fühlt.«
In Umfragen nimmt er schon Gestalt an, der »neue Mann«, der trotz des Berufs Kindererziehung und Hausarbeit als selbstverständlich ansieht. Doch das könnten zeitgeistige Absichtserklärungen sein, wie Wassilios Fthenakis betont, langjähriger Direktor des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München. Es handele sich dabei um ein »subjektives Konzept«. Was bedeutet, dass der Mann gern wollen würde, dann aber doch nicht danach handelt. Dafür sollte er nicht abgeurteilt werden; es wird noch ein langer Weg sein, bis wir liebevolle, interessierte Väter erleben werden, die trotzdem in ihrer männlichen Rolle zu Hause sind.
Lassen wir also den Mann Mann sein. Hören wir auf, an ihm herumzuerziehen, als seien wir Gouvernanten. Respekt und Akzeptanz können wir nur erwarten, wenn wir auch die Männer respektieren und akzeptieren! Ja, es mag vielleicht albern aussehen, wenn ein erwachsener Mann seinen Fan-Schal umlegt und sich mit seinen Kumpels in die Südkurve begibt. Richtig, ein Mann könnte auch Gemüse putzen, statt im Keller an seinem ferngesteuerten Flugzeug herumzubasteln. Doch wollen wir das wirklich? Und lohnt sich der Streit um diese Dinge? Sollen wir wirklich den Familienfrieden diesem lächerlichen Kleinkrieg opfern?
»Ich würde keinem Mann seinen Porsche ausreden wollen, solange das Geld noch für die Familie reicht und er nicht zu schnell damit fährt«,’ sagt der Berliner Männerforscher und Männerberater Eberhard Schäfer. Ob wir das noch erleben werden, einen gefühlsbetonten, verträglichen »richtigen Mann« ohne Nebenwirkungen? Schön wäre es.
Auszug aus dem Bestseller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006
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